"Grenzflieger"
Als der Himmel noch geteilt war
NDR Unsere Geschichte

Sendung war am 29. Oktober 2014 um 21 Uhr im NDR

 

Dieser Film behandelt erstmals ein bislang nahezu unbekanntes Kapitel der deutschen Teilung: Die zahlreichen unfreiwilligen Grenzübertritte von West nach Ost durch westdeutsche Kleinflugzeuge. Über 400 Irrflüge sind bis 1989 dokumentiert, meist ausgelöst durch schlechte Sichtverhältnisse oder Wetterturbulenzen, wenn Piloten von grenznahen Flugplätzen in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein starteten. Diese harmlosen Fehlflüge wurden von der DDR jedoch als „Verletzung der Staatsgrenze“ gewertet, mit dramatischen Folgen: monatelange Inhaftierungen der Piloten in DDR-Gefängnissen, Auslieferungsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR bis hin zum Häftlings-Freikauf und hohe Kosten für die Rückführung der Flugzeuge. Auf einer breiten Basis von Stasi-Dokumenten, Presseberichten und Unterlagen des Bundesgrenzschutzes, dokumentiert der Film die Schicksale von zwei Familien aus Lübeck und Lüneburg, die von einem auf den anderen Tag in den Strudel des Ost-West-Konflikts gerieten. Denn die Grenzüberflüge passierten 1970 – einem ereignisreichen und hochbrisanten Jahr in den deutsch-deutschen Beziehungen. Die Entspannungspolitik und der „Wandel durch Annäherung“ von Willy Brandts sozial-liberaler Bundesregierung standen noch am Anfang und waren hoch umstritten. Im April hatte gerade das erste Treffen zwischen Brandt und dem Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph stattgefunden. Im Sommer und Winter 1970 wurden dann mit dem Warschauer und dem Moskauer Vertrag die Grundlagen der Neuen Ostpolitik gelegt. Politische Zeitzeugen wie Ludwig Rehlinger, ehemaliger Staatsekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, und ein ehemaliger NVA General-Leutnant äußern sich zu den Gefahren, die solche „Grenzverletzungen“ für die brisanten Verhandlungen darstellten. Vor diesem Hintergrund zeigt der Film umso deutlicher die politischen Gräben und das Misstrauen im Vorfeld der Ostverträge. Eine Zeit, in der selbst ein „unfreiwilliger“ Grenzübertritt hochpolitisch war, weil er am 13. August, dem 9. Jahrestag des Mauerbaus, stattfand. In der ein defekter Kompass einen segelflugbegeisterten Textilkaufmann aus Bad Schwartau in eine Einzelhaft-Zelle in Ostberlin bringen konnte. Und in der es möglich war, dass eine Cessna mit fünf keuchhustenkranken Kindern aus Lüneburg von sowjetischen MIGs mit Schüssen vom Himmel geholt wurde. Darüber hinaus zeigt die Dokumentation, mit welcher Akribie die Stasi die sogenannten „Luftraumverletzer“ und deren Familien selbst im Westen ausspionierte und mit welchen Traumata die Betroffenen bis heute leben. Ein Film, der zum 25. Jubiläum des Mauerfalls deutlich macht, wie unvorhersehbar die deutsche Teilung und der DDR-Unrechtsstaat selbst in das Leben westdeutscher Bürger eindringen konnten. Als ein politisches System versuchte, Menschen nicht nur durch eine Grenze am Boden zu trennen, sondern auch noch den Himmel zu teilen. 

 

Ein Film von Hans-Jürgen Büsch und Anne Kathrin Thüringer
Redaktion NDR : Sebastian Bellwinkel